*Texte
Vögel in Reflexzonen oder Free the Systems
Es ist allgemein bekannt, dass sie existieren. Flügelspieler, Flugratten, Fallschirmjäger, Mauersegler, Sturzflügler, Kamikazefalter, Nestflüchter, Flatterelfen, Luftkapitäne und Pflugscharen. Unter ihnen Grenzgänger, Zonlinge, Heimscheißer, Obenbleiber, Senkrechtstarter und Überflieger.
Die ganze Bandbreite eröffnet sich im Himmel über Berlin, wo sie sich scharenweise selbst in Verschläge verbarrikadieren und ihre Flügel freiwillig stutzen. Einige landen hier aus Ländern, die keiner zuvor je sah, die in Liedern und Legenden durch die Lüfte hallen. Länder, die sich nur in der Phantasie als Wüstenlandschaften, karg, wasserlos, ölig und kriegerisch mit den heimatlichen Buntstiften des eigenen kleinen Horizonts ausmalen lassen.
Löffler oder Wie sich eine Geschichte überschlägt
Einen dieser Vögel will ich heute sezieren auf dem mir vorliegenden reinen Papier. Da muss es jetzt durch. Niemand sollte sich auf seine „Weisßheit“ verlassen. Nicht einmal Vogelkundler wie ich oder der Vogelfreie.
Löffler – Er ist ein depressiver Ja-Sager, Kain-Kämpfer mit Kennzeichnung, gibt ekelerregende Grunzlaute von sich, von denen er behauptet, dass es meine Sprache wäre. Unästhetisch ragt seine schwarze Gier aus dem sentimentalen Gesicht. Löffelartig wie sein Name. Er ist ein Vielfraß. Ein Allesfresser. Löffelt jede Suppe aus, die sich als solche definiert. Löffler will sich nach Europa durchlöffeln.
Wir begegnen uns in Namibia mitten auf der sandigen Pad nach Swakob. Ich im Auto, er kurz davor auszurasten. Ich schwebe durch die baumlose Landschaft. Bemerke seine wedelnden Arme zu spät, die Zeit vergeht wie im Flug, er schmiert mir seine Lebensgeschichte an den Kotflügel. Ohne sich in die Speisekarte meiner Seele einzulesen, bedient er sich freizügig einer Portion deftigen Mitleids. Herr Gott nochmal, ich nehme ihn mit. Löffler besticht mit seinem bunten Federkleid und seinen schwarzen Arbeiterpfoten. Ich frage mich wie es wohl ist ihn zum vögeln im Auto zu überreden, verwerfe den Gedanken aber Angesichts der Schlagworte: Dritte Welt, Aids und Bildern von Brot für die Welt oder Misereor. Kinder mit aufgedunsenen Bäuchen, riesigen Augen und Fliegen an den Lippen. Meine Eltern haben eine Patenschaft übernommen. Man tut, was man kann.
Er weint nicht, redet nur. Ich gebe mir Mühe ihn zu verstehen, was kann ich anderes tun in einer solch misslichen Lage. Es ist heiß, denke ich und fühle nach meinem Portemonaie, um ihm vielleicht doch einfach nur Geld zu geben, mich tausend Mal zu entschuldigen und ihn auf der Pad zurück zu lassen. Seine Geschichte erzeugt Würgereize. Eine Republik: Deutsch und Demokratisch – nimmt kleine schwarze Kinder aus Flüchtlingslagern in Angola und Sambia auf, lässt sie im Dorf Bellin bei Güstrow/ Mecklenburg unterm sozialistischen Rock wachsen und gedeihen, und schickt sie nach dem Zusammenbruch ohne Federn der Meinungsfreiheit und Menschenrechte zurück in ihr Geburtsland. 11 Jahre nach ihrer Ankunft im System. Nackt sind sie, wie die, die behaupten ihre Onkel und Tanten zu sein. Sprachlos stecken ihre Flügel im roten, Alles vereinnahmenden, mahlenden Sand der Zeit. Zu deutsch für den Kral.
Überschlag: 1979, 430 Kinder, innerhalb von 10 Jahren, 11 ½ Jahre Leben in der DDR, 1989 Fall der Mauer, Unabhängigkeit Namibias, 1990 alle unverzüglich zurückgebracht. Deutsch, aber schwarz. Schwarz, aber deutsch.
Überschlag: KLATSCH – Und während sich der Zuhörer fragt, was diese theatrale Geste zu bedeuten hat, lache ich mir ins gefiederte Fäustchen.
Überschlag: Ich gehe zu Boden, liege da uns starre in den Himmel.
Überschlag. Flugverbot!
Wir stehen am Airport Windhoek. Er darf nicht ausreisen, nicht einmal in meinem Handgepäck. Ich Ich streite lauthals mit den Sicherheitskräften, empfinde es als Kompliment, als man mir Handschellen anlegt und bin kurz davor meine Aikidofähigkeiten gegen lebendige Menschen einzusetzen, als sich plötzlich alles in Zeitlupe auf den Flugplatz nach draußen bewegt. Die Lage ist Ernst. Margot Honecker landet im afrikanischen Jetlag. Alle legen sich auf den kochenden, nach Cerosin stinkenden Teerboden. Verbrannte Spiegeleier, denke ich, bekomme Hunger und verlasse den Flughafen ohne Löffler, der sich zu den anderen legt. Ich habe genug vom Fliegen. Mein VW-Bus rauscht Richtung Norden.
Wiederhopf oder Kinderköpfe unter Wasser
Ich leiste mir in Israel zwischen zu landen und verstecke meine täglichen Waffen vor der Grenze – Coca Cola, eine Wunderkerze und arabische Datteln aus dem Türkischen Supermarkt Kottbusser Tor Berlin. Der arabische Verkäufer hatte sie mir kurz vor meiner Abreise aus Berlin zugesteckt mit dem Hinweis, dass das ein Grundnahrungsmittel für Fluchttiere wie mich ist. Ich hasse Datteln. Den Verkäufer hasse ich auch. Das sage ich ihm auch ins Gesicht anstatt mich angemessen zu bedanken. Dattelfresser. Vollvogel. – Worte aus dem tiefsten Unterleib gekratzt. Meine Yogalehrein würde dies spirituell segnen vor Freude über die kreative Entwicklung meines Chi. Die Tomaten, die ich hinterhergeworfen bekommen ersparen mir 1,20 Euro beim wöchentlichen Einkauf. Wer den Pfennig nicht ehrt,.... Vor der Autobahnauffahrt, auf der ich Anlauf gen Süden nehme, sind die Tomaten verputzt und schwappen betonschwer in meinem Bauch herum. Soviel zum Chi.
Nun also Israel. Seit heute weiß ich, das die hier doppelt verlockt und verstockt sind. Holocaust. Das hinterlässt Spuren. Nicht nur auf dem Handgelenk. Die Sonne brennt mir das Gefieder ein. Ich schwitze. Mein Mund ist trocken. Wasser nicht aus der Leitung trinken – Ein Satz der mich Geld kosten wird in diesem Wüstenstaat am Mittelmeer. Ein paar Kilometer gen Westen haben einige zu viel Wasser und machen die ersten tödlichen Schwimmversuche. Die Israelis sind mit Schiffen gekommen – beladen mit Kriegsmaschinerie aus dem 2. Weltkrieg. Sie haben sich hier breit gemacht im West-Jordanland. Das Land ist unser – so steht es in der Bibel, geschrieben vor 3000 Jahren oder ich weiß nicht mehr. Die Bibel ist eines der Bücher, die in jede Sprache der Welt übersetzt ist. Nur nicht in meine. Ich verstehe sie nicht. Kein einziges Wort. Israel – Gelobtes Land. Jesus, der Tausendsassa, ist hier über das Wasser gelaufen und wurde trotzdem abgemurkst. Johannes, der alte Täufer, wurde in den Jordan gestukt und nach ihm Milliarden von Christen um alle Sünden zu verwässern. Sogar Withney Houston hat sich hier nass gemacht. Hier wird von Engeln und Gott berichtet. This is real! Es werden Siedlungen gebaut und Mauern mit silbernem Stacheldraht. Jerusalem wird brüderlich geteilt zwischen Muslimen, Christen, Juden. Und wie Brüder so sind, gibt es des öfteren eine Keilerei. Hier mit Kissen, dort mit Steinen, Messern oder Sprenggürteln. Hart erkämpfter Boden, blutige Geschichte.
Der Militärfriedhof, ein Zufallstreffer meinerseits, ist überfüllt. Leichen über Leichen. Lebendige Menschen, die singen und gedenken den Toten. Tag des Gedenkens. Yom Hasikaron. Das Wort klingt wie der Kosename meines gefühlsunfähigen Vaters für meine Mutter. Irgendwas zwischen „Komm Hasi“, „Mach mal Essen!“ oder „Zieh dich aus!“ Ein Imame scheppert sein Gebet über den Platz, die Sirene läuft. Mein Körper dankt mit 30 minütigem Tinitus. Der Rest der Welt steht für 2 Minuten still. Ein Handy klingelt. Meines ist es nicht! Schadenfreude, schönste Freude. Der Typ erntet Blicke des puren israelischen Hasses. Hallelujah, denke ich noch, endlich werden die Gewehre, die sie so gut kleiden, auch Salut-Salven auf Handyträger schießen, bevor sich ein dicker fetter Nazi-Gockel feixend in meine Sonne schiebt. 100 Kilo sind untertrieben für diesen Koloß. Schwarzes T-Shirt. Weiße Weste. Glatze mit Kippa. Na, der hat vielleicht Anstand. Ich freue mich über die Multikulturalität des Ortes. German Wings macht's möglich. Ich verlasse den Friedhof, jedoch mit friedlichen Absichten.
Drei Stunden später bin ich zum Kaffee mit Zipora Feiblowitsch verabredet. Sie hat Auschwitz überlebt. Wir treffen uns auf einem Platz über den Gärten der Bahai-Religion, einer Religion des Diskurses. Jeder glaube, an was er will. Ich glaube an das was ist: Blick auf den Hafen von Haifa. An diesem Platz treffen sich Israels Kinder. Sie fotografieren Bäume in Betontöpfen und die Aussicht hinter Gittern. Ein dumpfes Schlagen von Eisen auf Stein hallt zu uns herauf. Vielleicht ist es auch Zipora' s Herz. Zipora erzählt. Mit Akzent. Zipora ist in Siebenbürgen geboren.
„Draußen ist Zählappell. Ich lieg oben mit hoch Schmerzen und ich höre auch noch Anderes. Viele sinde kranke, nicht nur ich. Und ich höre wie die, Sara heißt sie, kommte herein in Block und sagte die Blockerste. 'Ich muss das Kind haben. Was tu ich denn?' Die Blockerste sagte: 'Bleib hier. Hab das Kind an den Ofen, aber ich muss die Nazis bringen.' Sie geht weg und kommte zurück mit ein' ganze Gruppe Nazis. Sie kommen sehr froh und kommen was zu sehen, was sie vielleicht noch nicht erlebt, wie eine junge Frouw von 20 Jahren wird das Kind haben. Sie stehen ganz fest über diese junge Frouw und das Kind kommt an de Luft, an den Leben für ein Moment. Das Kind ist heraus und gibt so ein Schrei, so wie ein Kind wird geboren. Und dann stehen de Nazis und sagt ihr: 'Da gibt es Eimer mit Wasser. Steck rein den Kopf von den Baby in de Wasser. Sie weint und brüllt und betet. Es hilft ihr gar nicht. Und sie sagt ihr: ' Du bist jung und schön und 20 Jahre alt. Willst du leben bleiben? Dann tu das.' Und sie hat das gemacht. Sie hat keine Ausweg erwart'. Und ich frag sie nach de Krieg: ' Wie hast du das können machen? Sie hat mir gesagt: 'Ich hab geseh'n die kleine Kind, die waren rausgeschmissen neben dem Revier. Ich hab jeden Tag geseh'n die Kinder. Und ich möchte mit mein Hande töten de Kind, nicht die Nazis sollen das machen. Und sie hat das auch gemacht.“ Und während sie so erzählt, verhallt ihre Stimme in den rauschenden Blättern, in die ich auf dem Rücken liegend blicke. Ein kleiner Wiederhopf, das israelische Nationaltier, hat sich über unsere Köpfe gesellt. Seine Haube steht aufrecht, sein Schwänzchen wippt von oben nach unten. Ich erinnere mich an ein Lied aus meiner Kindheit.
Der Wiederhopf, der Wiederhopf, zerhackt den kleinen Kinderkopf, fiderallala, fiderallala, fidera...
TO BE CONTINUED...
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Spontanes Schriftstück während „Woyzeck Digitalisiert“ von Christoph Reinhardt gelesen wird.
Afrika's Hure
Schreiend der Raum in mir. Der Pöbel Europa's tobt in meiner Lunge. In jeder kleinen Pore, dieser meiner Lunge, rauben sie mir die letzten Sauerstoffbläschen, die ich so sehr zum Atmen brauche. Nizza! Nice! Nice Nizza! Europa ist tot. Mein kleines Büchlein im Schoß schließe ich meine Hose, die Hose einer Hure Afrikas. Ich armer Schlucker habe nicht teil an dem Konsum. Nur sein Sperma klebt in meiner sonst so dörren Speiseröhre. Das Leben ist mir zu teuer. Das Kind schreit. Sein Schädel ist zu groß geraten durch die Hitze. Er hat kein Hemd an. Das Kind hat ein Loch. Ich möchte Branntwein in das Loch gießen. Damit es vergisst. Es soll mich vergessen. Nie wird es mich lieben. Ich bin nicht zu lieben. Nie wird es mir etwas verdanken. Der Kapitalismus rast in den Mündern der Menschen um mich herum. Es ist ein Alptraum. Ich befinde mich in einer Welt, in der das Konsumgut mehr Liebe erwarten kann, als das Kind an meiner Brust. Ich habe kein Herz mehr. Ich habe kein Herz mehr. Ich habe kein Herz mehr. Der Spuk beginnt auch in meinen Augen. Mephisto tanzt vorbei. Alles wälzt sich in Unzucht. Er greift an mir herum. Ich kann ihn nicht ansprechen. Ich kann ihm nicht Einhalt gebieten. Mein Mund – zugenäht. Ich lasse ihn geschehen. Warum ist er Mensch? Wo ist Gott? Ich bin ein Soldat. Alles irdische ist übel und ich verwese. Ich, die Muselfrau, verwese. Neben mir der Narr, der mich beschaut, als hätte er noch nie ein rotes Meer gesehen. Das Meer meines Blutes gemischt mit dem salzigen Stich meiner Tränen. Der Narr legt sich neben mich und weint. Ich habe den Narren gern. Ich liebe den Narren mit meinem Körper. Das Kind schläft ruhig. Ich gebe ihm einen Schuss. Ich, die Hure Afrikas, bin erschöpft. Ein goldenes Vlies umhüllt mich. Ich bin die, die keiner sucht. Ich bin ein Wesen ohne Instinkt. Das Tier zerbeißt mir meine Schönheit. Es gibt Nachteile. Man sieht mich mehr. Die schwitzende Welt glotzt mich an. Meine Muskeln sind untätig. Meine Augen langgezogen weigern sich störrisch meine Mutter anzufassen und doch sehe ich meine Hand an ihrem Kopf, liebevoll sie streichelnd. Sie ist ein besserer Mensch. Ein Mensch mit Humanismus. Ich bin hungrig. Ich leide Hunger. Meine Schenkel schmecken gut. Genüsslich lecke ich, einem heißen Hauptmann gleich, an meinen Schenkeln. Dummes lecken an Schenkeln. Ich wollte die Welt wäre Schnaps. Ein Opfer neben mir masturbiert und gibt sich dem Ergötzen anderer hin. Seine Lust flutet den Kampf der Dachse an der Wallstreet. Die Börse ein einziges Theater, das nach Profiten lechzt. Die anderen relevanten Themen der Liebe rauche ich in der Pfeife. Mein Genick knackt, fast geräuschlos. Dunkelblau schwebt meine letzte Courage gen Plattenbausiedlung mit Deutschlandfahnen bespickt. Ein Butterfly in meiner Hand. Ich weiß, was ich tue. Ich steche auf die Attrappe ein. Wie billig ist doch dieser Tod. Ich, die Attrappe, die Puppe, die Hure Afrikas, bin nicht als Junge geboren. Ich. Ich. Ich. - Ich töte Berlin. Ich wäre heute 30 Jahre alt geworden. Tanzt alle. Immerzu! Stille...